Der Neuntöter

Der Neuntöter, auch Rotrückiger Würger genannt, war noch in den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts im südlichen Niederrhein ein regelmäßig anzutreffender Sommervogel. Mit Beginn der Flurbereinigungen begann sein Niedergang. In den letzten Jahrzehnten trat der Neuntöter bei uns nur sporadisch als Durchzügler auf, so zuletzt im Rheindahlener Land in Genholland, wo dieses Foto entstand.


Der Neuntöter ist ein Singvogel, der zur Familie der Würger gehört. Würger erinnern durch ihren Körperbau, ihr Verhalten und den falkenähnlichen Schnabel an kleine Greifvögel. Wie kommt ein so hübscher Singvogel, der nur etwas größer ist als ein Sperling, zu dieser martialisch wirkenden Namensbezeichnung? Früher sagte man dem Neuntöter nach, er spieße erst neun Tiere auf, bis seine Mordlust gestillt ist, und vor dem Fressen zerreißt er seine Beute in Stücke wie ein grausamer Würger.


Fakt ist, dass Neuntöter bei Nahrungsüberschuss ihre Beute häufig auf Dornen aufspießen, um Vorrat für schlechtere Zeiten anzulegen. Seine aufgespießten Opfer sind in Dornenlandschaften manchmal leichter zu finden, als der gut getarnte Täter selber. Ein zum Aufspießen von Beute ausgewählter Schlehenbusch kann manchmal wie eine Schädelstätte von Kleintieren wirken, denn die nicht zeitnah gefressen Tiere verwesen bis zur Skelettierung vor sich hin. Er spießt nicht nur Insekten auf. Eidechsen hängen ebenfalls verendet in den Dornen, wie kleine Frösche, schillernde Libellen und ausgewachsene Mäuse.

 

Sogar Singvögel bis zur Größe eines Sperlings überwältigt er gelegentlich, wozu er eine besondere List mitunter anwendet. Der Neuntöter besitzt eine gute Nachahmungsgabe von Stimmen anderer Singvögel. Munter vor sich hinsingend erkennen besonders unerfahrene Jungvögel nicht die Gefahr und nähern sich neugierig dem freundlich dahinträllernden Neuntöter. Aus kurzer Distanz reagiert dieser blitzschnell, überrumpelt und tötet den nichtsahnenden Vogel.


Der Neuntöter hatte im Volksmund aufgrund seiner besonderen, markanten Verhaltensweisen noch zahlreiche andere Bezeichnungen, die leider so gut wie in Vergessenheit geraten sind. So nannte man ihn mitunter Dickkopf, Spießer, Dorndreher, Würgengel, Finkenbeißer, Singvogelmörder sowie Radebrecher (ahmt die Stimmen anderer Vögel nach, er radebrecht). 

 

Text: Ludwig Winkens, 09/23

Foto: Willi Eckers

Steckbrief

Größe Körperlänge ca. 17 cm; Gewicht 30 g
Nahrung hauptsächlich große Insekten, aber auch Frösche, Mäuse und kleine Singvögel
Brut Das Nest liegt in dichten, dornigen Hecken, 4 bis 6 bläuliche Eier.
Vorkommen In Europa verbreiteter Vogel, der in Zentralafrika überwintert. Bei uns bevorzugt er offene Landschaftstypen mit reichlichem Heckenbewuchs mit Dornen.
Sonstiges Markanter schwarzer Augenstreifen (Männchen) wirkt wie Kriegsbemalung.