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Offener Brief an Oberbürgermeister Felix Heinrichs

Wald und Landschaftsplan in Mönchengladbach

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

 

die Wälder brennen, der Rhein verliert sein Wasser, der gezielte Massenmord an den auf Erden lebenden Tier- und Pflanzenarten geht weiter und Millionen Menschen verlieren ihre Existenz oder haben ihr Leben verloren. Es scheint, dass die Hoffnungen der Aufklärung nach „einem beständigen Fortschreiten zum Besseren“ (Kant: Streit der Fakultäten, 1798), auch ohne die Verbrechen Putins oder Bolsonaros, in unserem Jahrhundert zu Grabe getragen werden müssen. Der in meinem Brief vom 16. April 2021 erwähnte Bewusstseinswandel hat noch keine gesellschaftspolitische Praxis gefunden, die stark genug wäre, die Destruktivität des modernen Fortschritts in eine ökologisch-soziale Humanität zu verwandeln; stattdessen verwirren wissenschaftlich klingende Worte wie Klimaresistenz oder Klimaneutralität die Diskussion, indem sie äußerst werbewirksam Lösungen vorspielen, die es in der Wirklichkeit nicht gibt und eine gefährliche Trennung von Naturschutz und Klimaschutz riskieren.

 

Es kommt zu einer Überbewertung der Technik bei gleichzeitiger Reduzierung aller natürlichen Vielfalt zu einem wirtschaftlichen Nutzfaktor und gerade diese Denkweise trägt seit der Industrialisierung die Schuld an unserer derzeitigen Krise, und sie verkennt darüber hinaus die Tatsache, dass alle Technik wiederum von natürlichen Ressourcen abhängig ist und somit in der Natur ihre Grenzen findet. Das mag verworren klingen, ist aber kein Paradoxon. Eine Gasheizung hat ohne Gas keinen Sinn und eine noch so naturferne Urbanität bleibt ohne Luft und Wasser nicht am Leben.

 

Das globale Wirtschaften, insbesondere die neoliberalen Exzesse der letzten Jahrzehnte, haben zu Zerstörungen der Natur geführt, die nicht nur von Pessimisten als Vorzeichen einer Apokalypse gedeutet werden, die mit einem atomaren Desaster oder den Meteoritenexplosionen, die vor Jahrmillionen die Dinosaurier zum Aussterben brachte, verglichen werden kann.

 

Die einzige Möglichkeit, diese Krise noch zu überwinden, ist die Unterordnung des ökonomischen Denkens und Handelns unter ein Primat der Ökologie. Alle Diskussionen um die Nachhaltigkeit müssen in der Gemeinsamkeit von Ökologie und Ökonomie ihre Herleitung suchen.

 

Wohl wissend, dass der uns bekannte Zustand des Planeten Erde mit seinen vielfältigen Biotopsystemen der Garant für menschliches Leben ist, arbeiten Naturschutzverbände weltweit gegen weitere Naturzerstörungen und eine UN-Dekade für die Wiederherstellung von Ökosystemen ist der Versuch, Verlorenes zurückzugewinnen und eine finale Katastrophe zu verhindern.

 

Wälder, Moore, Ozeane, Flußsysteme etc. sorgen in ihrer Gesamtheit für einen ausgewogenen Kohlenstoffhaushalt des Planeten, die technisch verursachte Unordnung, Schadstoffe, Methangase, Co2-Konzentrationen etc., kann nur durch eine Verbesserung der Technik oder durch einen Verzicht auf Technik wieder ausgeglichen werden, nicht aber durch den anmaßenden Versuch, die Natur der Technik anzupassen. Dieser Weg führt zu nicht kalkulierbaren und damit nicht zu verantwortenden Risiken.

 

Kommunalpolitisches Pendant der internationalen Anstrengungen sind unsere Landschaftspläne. 1995 erschien der erste für das Stadtgebiet Mönchengladbach, vor kurzer Zeit wurde die aktuellste Überarbeitung vorgestellt. In summa sind die Pläne ein erfreuliches Werk, verraten aber in den jüngsten Ergänzungen die Gefahr, dass im Namen des Naturschutzes heimische Natur zerstört werden könnte. Um einen Fluch der guten Tat abzuwenden, bitten wir um Ihre Hilfe.

 

In einigen Naturschutzgebieten, die sich um den Erhalt von Waldflächen bemühen, können noch imposante Altgehölze, vornehmlich Rotbuchen und Stieleichen, bewundert werden, die eine Vorstellung vom Zustand rheinischer Wälder in der Zeit Karls des Großen vermitteln. Ein weit über Mönchengladbach hinaus geschätztes und bekanntes Beispiel ist der Buchholzer Wald, der seit der kommunalen Neugliederung von 1975 zu Mönchengladbach gehört und jetzt endlich zu einem NSG erklärt werden soll. Ein juristischer Vorentwurf ist leider noch kein ausreichender Schutz. Es besteht nach wie vor die Gefahr, dass nicht zu ersetzende Bäume einer Kaminholz-Nutzung zum Opfer fallen, obwohl gerade Kaminholz durch die Nutzung anderer Baumarten oder unter Anwendung der nachhaltigen Niederwaldtechnik alternativ produziert werden könnte. Die Vorschläge der Naturschutzverbände fanden bislang kein Gehör. Ein weiteres Problem ist die Möglichkeit, bei Nachpflanzungen wegen einer vermeintlichen Klimastabilität standortuntypische Baumarten den heimischen Arten beimischen zu dürfen. Eine aus Nordamerika stammende Eiche aber beeinträchtigt das Gefüge eines europäischen Buchenwaldes und widerspricht der Zielsetzung, einen mittlerweile zum UNESCO-Weltnaturerbe gehörenden Buchenwald eben wegen seiner Buchen bewahren zu wollen. Zudem zeigt sich dem aufmerksamen Waldbesucher bereits heute, dass der Wald Vorsorge für die Zukunft trifft. Unzählige Jungpflanzen, gerade Rotbuchen und Stieleichen, warten in der Strauchschicht, um als erwachsene Bäume überleben zu können. Und Arten wie die Eibe, die Linde oder die seit gut einem Jahrhundert von einem Splintkäfer bedrohte Ulme wandern ein oder kommen zurück. Das Wilde organisiert sich selbst, kostenlos und mit einer Nachhaltigkeit, die Generationen von Menschen und vermutlich die gesamte Menschheit überdauert.

 

Mit diesem nach poetischer Mystik klingenden Satz möchte ich meinen Vorschlag verbinden, die geschützten Waldflächen der Stadt zumindest teilweise zu Wildnisgebieten zu erklären und die Wälder im Westen durch ein Verbundsystem zu bereichern, welches den Reichswald im Norden über ein noch zu begründendes Hecken-Netzwerk entlang der Tagebaue mit den Wäldern der Eifel und dem „Urwald von morgen“ im Nationalpark Eifel verbinden könnte. Es entstünde eine Landschaft, die das Wasser speichert, Luft und Klima verbessert, Erosionen verhindert, Arten eine Heimat bietet und den Bürgern eine Naherholung, die ohne schadstoffproduzierende Mobilität zu erreichen wäre.

 

Wenn es Ihre Zeit erlaubt, würde es mich sehr erfreuen, Ihnen das besagte Naturschutzgebiet mitsamt seinen Problemen bei einer gemeinsamen Begehung zeigen zu dürfen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Kurt Sasserath – NABU Mönchengladbach