Die Misteldrossel

Die stattliche Misteldrossel ist die mit Abstand größte unserer Drosselarten. Sie ist bei uns nicht sehr häufig anzutreffen, dennoch ist sie hier ein regelmäßiger Brutvogel. Sie bevorzugt lichte Wälder, Parks und Friedhöfe sowie große Gärten an Dorf- und Stadträndern.

 

Bereits an milden Wintertagen kann man ihren schönen, etwas melancholisch und amselartig wirkenden Flötengesang hören. In der späten Abenddämmerung wirken ihre vollen Töne besonders feierlich. Der Gesangsvortrag ist eher langsam, mit vielen Pausen durchsetzt und wird von den Männchen in der Regel auf den höchsten Spitzen der Bäume vorgetragen. Die Misteldrossel ist im Gegensatz zur kleineren Amsel ein recht scheuer Vogel. Wenn die große Misteldrossel am Boden nach Nahrung sucht, fällt besonders ihre aufrechte und gestreckt wirkende Körperhaltung auf, um immer wieder nach möglichen Gefahren Ausschau zu halten.

 

Die Beeren von den immergrünen Mistelgewächsen, die als sog. Halbschmarotzerpflanzen auch bei uns auf verschieden Baumarten wachsen, gehören zur bevorzugten Nahrungsquelle dieses Vogels. Misteln sind also der Namensgeber der stolz und groß wirkenden Drosselart. Beim Verdauen der Beeren wird nur ein Teil des Fruchtfleisches im Vogelmagen zersetzt. Die in der Frucht enthaltenen Samenkörner werden zusammen mit dem besonders klebrigen und Fäden ziehenden Restfruchtfleisch ausgeschieden. Wenn die Misteldrossel den Kot auf einen Ast fallen lässt, bleibt die klebrige Fruchtmasse mit dem Samen kleben, so dass diese Körner wieder auskeimen und zu neuen Mistelzweigen gedeihen können. Schon zur Römerzeit wurden die extrem klebrigen Ausscheidungen von Misteldrosseln genutzt, um Leim zum Singvogelfang herzustellen. Mit dem gewonnenen Leim bestrich man Äste und lockte mit Käfigvögeln neugierig gewordene Singvögel an. Zahlreiche Kleinvögel bis Drosselgröße blieben an der klebrigen Masse hängen und konnten von den Fängern leicht eingesammelt werden. Diese furchtbare Fangmethode, die es in manchen Mittelmeerländern trotz eines generellen Verbotes leider immer noch gibt, wurde gebietsweise auch in Deutschland bis Mitte des letzten Jahrhunderts durchgeführt.

 

Unsere Vorfahren bezeichneten die Misteldrossel als den Mistler sowie aufgrund ihrer schnärrenden Laute beim Abfliegen den Schnärrer oder die Schnärrdrossel. Im südlichen Niederrhein nannte man sie mundartlich „jruete jriese Mähling“ (großer, grauer Mähling = Drossel), im Gegensatz zu der ähnlich aussehenden aber deutlich kleineren Singdrossel; dä „jraue“ oder „jriese Mähling“.

 

Text: Ludwig Winkens 04/2024
Fotos: Willi Eckers

Steckbrief

Größe Körperlänge ca. 27 bis 29 cm; Gewicht um 120 g
Vorkommen Bis auf die nördlichsten Teile Skandinaviens in ganz Europa verbreitet. Zieht im Winter mehrheitlich in den Mittelmeerraum; einige Exemplare verbleiben in Mitteleuropa.
Brut Das Nest wird hoch in der Baumkrone errichtet und enthält 4 bis 5 blaugrüne Eier.
Nahrung Vielseitige tierische und pflanzliche Nahrung (Insekten, Weichtiere und Würmer sowie Beeren und Körner), die überwiegend am Boden gesucht wird.