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Raubtiere, Raubvögel, Raubzeug – unser Verhältnis zu Prädatoren

(Wir zitieren Dr. Martin Steverding vom NABU-Kreisverband Borken)

 

[…] Aus unserer menschlichen Perspektive geht es in der Natur nicht selten grausam zu. Jeder kennt die Jagdszenen von Löwen auf Gnus oder andere Tiere in der afrikanischen Savanne aus dem Fernsehen. Es ist eine Gefühlsmischung aus Grausamkeit und Faszination, die bei vielen dieser Fernsehdokus bis zum Letzten ausgekostet wird. Viele Beutegreifer ziehen uns durch Kraft, Schönheit und Eleganz in ihren Bann. Den jagenden Löwen, Geparden oder Adler gönnen die meisten Fernsehzuschauer ihre Beute, viele fiebern mit dem Jäger mit, andere aber auch mit dem Gejagten. Die meisten Jagdszenen in der Natur sind aber weitaus weniger spektakulär. Der Turmfalke kämpft nur extrem selten mit einer sich wehrenden Amsel, sondern plumpst viel mehr aus dem Rüttelflug heraus ins Gras um dann mit einer gefangenen Feldmaus zum nächsten Weidepfahl zu fliegen. Kaum jemand dürfte dabei in irgendeiner Weise um die Maus trauern. Einen Fuchs bei der Mäusejagd zu beobachten ist ein wahres Vergnügen: Er bleibt stehen, hält inne, die Ohren maximal aufgerichtet, dreht oft taxierend den Kopf, springt wie katapultiert in die Luft und landet im fast senkrechten Fall auf der Maus. Kurz wird die Beute durchgekaut, verschlungen und weiter geht´s – es können mal fünf oder auch zehn Mäuse in kurzer Zeit im Magen des Fuchses verschwinden.

 

„Fuchs, du hast die Gans gestohlen…“, wie kaum ein anderes prägt dieses Lied unsere Vorstellung vom Beutegreifer als Schädling. Wie kein anderes heimisches Wildtier wird der Fuchs seit Jahrhunderten gejagt, gehetzt, mit Fallen gefangen und als Jungtier am Bau getötet. „Left me to die like a fox on the run“ (Ließ mich zum Sterben zurück wie ein Fuchs auf der Flucht) – diese Textzeile von Manfred Mann´s Earth Band verrät viel über die Rolle des Fuchses in unseren Köpfen bzw. über unseren Umgang mit ihm: Er ist ausgeliefert, zum Sterben bestimmt. Noch drastischer ist bzw. war unser Bild vom Wolf. Seine weiträumige Ausrottung wurde wie ein Sieg über das Böse gefeiert, Denkmäler wurden an den Orten der Tötung von Wölfen errichtet. Schließlich weit zurückgedrängt nach Osteuropa wurde er hierzulande zur Ikone für die wilde ungezähmte Natur stilisiert. Jetzt ist er zurück, entzaubert vom Mythos der Wildnis bewohnt er die Wälder am Rand des Ruhrpotts. Wölfe in Bottrop – wer hätte das für möglich gehalten? Leider haben wir den Umgang mit ihnen in den Jahrhunderten ihrer Abwesenheit verlernt – sofern wir ihn jemals überhaupt gelernt hatten. Der Wolf hat heute viel mehr Freunde als früher, aber leider hat er weiterhin sehr viele Feinde und die alte Rhetorik vom bösen Wolf ist wieder da.

 

[…] Es ist das uralte fressen und gefressen werden, das hunderttausendfach länger als die Menschheit existiert. Die Beziehungen zwischen Beutegreifern (=Prädatoren) und Beutetieren sind seit vielen Millionen Jahren Motor der Evolution, Antrieb für die Entstehung unzähliger wunderbarer Tierarten mit all den faszinierenden Fähigkeiten und Sinnesleistungen. Für diese Vorgänge fehlt es uns Menschen häufig an Verständnis und Respekt, Prädatoren werden allzu schnell zum „Raubzeug“. Wir glauben oft, in diese natürlichen Prozesse eingreifen zu müssen, ohne ihr Wirken zu verstehen. Ganz vielleicht kann die massenhafte Tötung von Füchsen ein Restvorkommen einer hochgradig bedrohten Art retten. Aber: Was tun wir den Füchsen an, indem wir sie in Fallen fangen um sie zu töten, mit Hunden aus dem Bau jagen um sie zu erschießen oder gar ihre Jungen beim Spielen am Bau umbringen (Reduzierung von Fuchsbeständen geht nicht ohne diese brutalen Methoden)? Haben wir eine Ahnung davon was passiert, wenn die Füchse eliminiert sind? Werden sich dann Hasenpest, Myxomatose und andere Krankheiten nicht unkontrolliert verbreiten, wenn kein Prädator die kranken Tiere jagt und so die Ausbreitung der Seuchen bremst? Von einem Naturschutzverband wie dem NABU darf man erwarten, dass er wirklich Natur schützt. Zur Natur gehören auch Prädatoren (Beutegreifer), auch wenn die Lieblinge des Naturschutzes zu ihrer Beute werden können.

 

Zum Schluss sollten wir über unsere eigene Rolle im Ökosystem nachdenken. Beispielsweise ist es üblich, jährlich etwa ein Drittel des Rotwildbestandes zu erlegen – einen solchen Druck üben Wölfe niemals und nirgendwo auf ihre Beutetiere aus. Es sind weder die Wölfe noch die Waldspaziergänger, die das Rotwild scheu und nachtaktiv machen, sondern es ist die Jagd – gleiches gilt für viele weitere Wildtiere. Aber nicht nur Jäger müssen ihre Rolle im Ökosystem dringend reflektieren, sondern alle Fleischkonsumenten:

Wir züchten unsere Beutetiere, sprich unseren Fleischkonsum, selbst – verbunden ist dies mit viel Tierleid. Um diese Tiere zu füttern, die zu unserem eigenen Futter werden, beanspruchen wir etwa 60 % der Agrarfläche Deutschlands. Wo soll da noch Platz sein für Prädatoren und ihre Beutetiere, für Kiebitz, Brachvogel, Fuchs, Wolf und all die vielen anderen Arten und für das feine und fragile Geflecht unterschiedlichster Beziehungen, das wir nur in Ansätzen begreifen?